Ich mag Achtsamkeit!

In meinem Umfeld gibt es eine handvoll Menschen, die über die Jahre “die Achtsamkeit” für sich entdeckt haben und damit sehr gut leben oder die einfach von Natur aus so sind, dass man von außen sagen würde “Mensch, das ist aber eine achtsame Person!”.

Und dann gibt es Bilder von Sonnenauf- oder -untergängen mit einem Spruch in Comic Sans

und mit Rechtschreib- und Grammatikfehlern.
Diese helfen einem dabei, selber ein besserer Mensch zu sein.
Denn mit dem Teilen des Bildchens wissen direkt alle, die gerade durch die sozialen Medien flitzen “Ah guck mal, was für eine achtsame Person!”. Und zack, …achtsame Person.
Trotzdem frage ich mich dann jedesmal, warum die Person, die ursprünglich dieses Bildchen mit Text irgendwann mal “für zum teilen” gestaltet hat, in dem Moment so unachtsam sein konnte, dass ihr oder ihm direkt
– ein Komma zuviel
– einmal “dass” gut gemeint, aber leider doch falsch angewendet und
– Gegenward…. und
– weißheit
nicht aufgefallen sind. Bei einem einzigen Satz…
Aber wahrscheinlich hat sich in dem Moment die ganze Achtsamkeit auf etwas anderes gerichtet. Das Gefühl der Laptoptasten unter den Fingerspitzen oder das Geräusch, das die Tasten beim tippen machen. Denke ich.

Oder so ein Bildchen mit Text will Klugscheißer wie mich gnadenlos vorführen,

indem es mir zeigt, wie oberflächlich ich unterwegs bin, da meine gesamte Aufmerksamkeit bei diesen lächerlichen Äußerlichkeiten verweilt, während der erhellende Inhalt gar nicht zu mir vordringt. Oh!
Dabei mag ich das Konzept der Achtsamkeit. Ich kann zum Beispiel sehr achtsam da sitzen und Kaffee trinken, auch andere Getränke. Oder durch die Gegend latschen.

Beim Autofahren könnte ich vermutlich etwas achtsamer sein, da gibt es allerlei Dinge, die während so einer Fahrt zeitgleich stattfinden. Mal eben was trinken, im Rucksack nach einem Taschtuch wühlen, vorher den Rucksack von der Rückbank nach vorne zerren, den dabei herausgekullerten Schokoriegel (ich wollte erst Apfel schreiben, aber das wäre gelogen) aus dem Fußraum fischen, dabei Radio oder in letzter Zeit auch sehr gerne Hörbuch hören. Wenn es sein muss, schütte ich mir auch heißen Tee aus der Thermosflasche in den klitzekleinen Thermosflaschendeckel. Kommt aber nicht mehr so häufig vor, weil ich irgendwann auf diese praktischen Thermobecher umgestiegen bin. Heißt es übrigens wirklich ThermoSflasche und Thermo()becher?

Für die Verkehrssicherheit wäre achtsames Autofahren bestimmt ein Gewinn, aber wenn ich mir so eine achtsame Autofahrt ohne alles, aber inklusive Autobahnstrecke vorstelle, sehe ich bereits die natürliche Entwicklung von Achtsamkeit zu Sekundenschlaf vor mir. Vielleicht ist Achtsamkeit im Sinne von “Achtsamkeit” also doch nicht für alle Lebenssituationen die Taktik der Wahl.

Ansonsten aber eine gute Sache, die Achtsamkeit!

Und offensichtlich eine äußerst erstrebenswerte Sache! Und eine lukrative Sache! Anders kann ich mir die Schwemme an Selbstfindungsoptimierungsachtsamkeitscoaches kaum erklären.

Bemerkenswert finde ich persönlich, dass “die Achtsamkeit” offensichtlich einen gewissen Interpretationsspielraum bietet. Die meisten lernen dadurch, zu sich selbst zu kommen, zu entstressen, gelassener durchs Leben zu gehen, vermeintlichen Kleinig- oder Selbstverständlichkeiten mehr Beachtung zu schenken, zufrieden zu sein.
Und dann gibt es die auf der Achtsamkeitseinbahnstraße mit der Achtsamkeitsbrechstange.
Wenn ich darauf unterwegs bin, ist es mir vorallem wichtig, dass mein Umfeld sehr achtsam mit MIR umgeht,…. weil mir das guttut, und “die Achtsamkeit” soll doch schließlich guttun. Als Achtsamkeitseinbahnstraßenbefahrer mit Achtsamkeitsbrechstange ist es wichtig, dass ich am besten in allen Situationen ALLE ausführlich darauf hinweise, doch bitte achtsam miteinander umzugehen. Am besten besonders dann, wenn mir gerade irgendwas nicht passt. Zack, sage ich einfach wieder irgendwas mit Achtsamkeit und Respekt, und wenn es gut läuft, ziehen sich alle verschämt in die Ecke zurück.

Erstens wissen dann alle, dass ich dieses arschteure Seminar bei dem superachtsamen Achtsamkeitscoach besucht habe und daher sowohl achtsam als auch kompetent in Sachen Achtsamkeit bin,
zweitens beweise ich mir selber sehr eindrucksvoll nicht nur, wie achtsam ich inzwischen bin sondern auch, wie wichtig mir das ist,
drittens kann ich endlich wieder eines der Bildchen mit Text teilen, die seit dem Seminar auf meinem Handy wohnen, Bonusmaterial, vom Coach selbst gestaltet…..

Dann hat sich das letzte arschteure Wochenendseminar schon gelohnt.

Gut, dass es solche Leute nur in berufsbezogenen Whatsapp Gruppen gibt. Noch besser, dass man in solchen Gruppen nur wenige Leute persönlich kennt.