Wer sich gerade “eigentlich ganz gut drauf und psychisch stabil” fühlt, darf sich gerne mal ein altes Kindheitsfotoalbum dazu holen. Aber noch nicht reinschauen!

Ich glaube ja, Fotos haben einen eingebauten ab-jetzt-kannst-du-langsam-anfangen-dich-alt-zu-fühlen Mechanismus. Zumindest die, die wir als Papierfoto im Fotoalbum oder in irgendeinem Schuhkarton haben. Ob Handyfotos diese Funktion auch haben, wird sich in zwanzig bis dreißig Jahren zeigen. Ich gehe stark davon aus,  nichts einfacher als das!
Irgendwann im Laufe der Jahre denken sich die Fotos vielleicht…. “So, wir wollen sie doch mal darauf hinweisen, dass es jetzt echt Zeit wird,
was aus ihrem Leben zu machen/
den Nachlass zu regeln/
sich zum 35+-Check beim Arzt anzumelden/
endlich diese beige Übergangsjacke zu kaufen/
nicht mehr doof zu gucken, wenn sie von Teenagern gesiezt wird/
nicht mehr doof zu gucken, wenn sie beim Elternsprechtag ihrer KInder Lehrern gegenüber sitzt, die zehn bis fünfzehn Jahre jünger sind/
nicht mehr doof zu gucken.
Wenn gucken, dann bei der nächsten Brille mit Gleitsicht.

Wenn es soweit ist, lösen sie die Bild-Gilb-Funktion aus. Über Nacht sehen die vorher noch ganz normalen Fotos aus wie der old-school-retro-vintage Filter im kostenlosen Fotobearbeitungsprogramm. Es ist ein bisschen so wie damals, wenn man sich die Kinderfotos der eigenen Eltern angeschaut hatte.
“Und hattet ihr damals dann jeder eine Pferdekutsche?”
Schönen Dank auch, Sohn, in den 80ern gab es Autos, auch im Sauerland! Vorsichtshalber denke ich kurz nochmal nach. Doch,  hatten wir!

Ich erinnere mich daran, wie toll ich es damals als Kind fand, wenn ich im alten Fotoalbum meines Papas blättern durfte. Noch toller wurde es, wenn er aus seiner Fünfzigerjahrekindheit erzählte. Das Leben damals musste wie zehn Folgen Lassie gewesen sein oder zumindest wie ein Peter-Alexander-Film. Vielleicht ohne singen. Bestimmt ohne singen. Schade eigentlich. Nein, doch nicht!

“Früher” war in meinen Kinderaugen heile Welt. Auf den Fotos sahen alle aus, als würden sie direkt vom Immenhof kommen und gleich mit ihrer kleinen Milchkanne hinter der nächsten Kuh verschwinden. Mutti kochte gerade voller Liebe und Hingabe die frisch geernteten Früchte aus dem eigenen Garten für den kommenden Winter ein und Vati saß rauchend und Asbach Uralt aus einem schicken Schwenker trinkend in einer Dienstbesprechung. Schöner könnte die Parteiwerbung der AfD ihr Familienmodell auch nicht darstellen.
Heute wird eh nur noch auf dem Balkon geraucht, und das was eventuell zu schwenken wäre, macht sich bei Zoom und Co auch in der Kaffeetasse ganz gut. Gibt es überhaupt noch Menschen, die Asbach Uralt trinken? Oder gammeln die Flaschen im Regal mit Weinbrandbohnen und Edle Tropfen in Nuss vor sich hin und zwischendurch kommt höchstens mal Sky Dumont vorbei?

Es wäre ganz lässig, wenn meine Kinder nun auch so einen leicht verträumten Blick bekämen, wenn sie sich mein altes Fotoalbum anschauen, aber entweder habe ich sie bisher nicht genügend 80er-Jahre-Filme und Serien gucken lassen oder diese Zeit ist einfach in ihren Augen furchtbar uncool.Wie konnte das passieren?

Ich gebe zu, dass ich selber auch etwas desillusioniert war, nachdem wir Streamingdienst sei Dank ein paar Folgen “das A-Team” geguckt hatten. “Gleich wirds richtig cool!” posaunte ich herum, in freudiger Erwartung der ikonischen Umbauszene, die in keiner Folge fehlen durfte. Ok, um die herum jede Folge handlungsmäßig herum konstruiert wurde….  “Jetzt! Jetzt guck mal, toll, ne?” Aufgeregt starrte ich auf den Bildschirm, ich hörte die Musik, jau! Die war ja wohl astreinactionmäßig. “Da! Guck mal, wie der das Blech an den Panzer schweißt!” Man sah ein paar Funken sprühen, aha, toll. Irgendwie hatte ich Hannibal und Co doch etwas aufregender in Erinnerung.
Vielleicht haben die Kinder mir zuliebe einer weiteren Folge zugestimmt, …und weil sie solange nicht die Spülmaschine ausräumen mussten.
Danach konnte ich sie noch nicht wieder dazu überreden, mal wieder “eine wirklich volltotalcoole alte Serie zu gucken, in Echt, ich fand die damals auch immer super, das wird euch bestimmt gefallen!”
Vielleicht ist es aber auch für mich netter so. Ohne Bild-Gilb.

Bild-Gilb ist in Kombination mit anstehenden Schulabschlussjubiläen übrigens eine brutale Erscheinung. Die nächste Konfrontationsstufe wäre vielleicht, wenn auch die Abschlussfotos von Bild-Gilb überzogen wären. Ich hab aber mal vorsichtig geguckt. So weit ist es noch nicht.