Irgendwann kommen wir scheinbar in eine Lebensphase, in der social Media denkt: Du hast Dir genug Pinterestseiten mit Einrichtungs-, Koch-, Erziehungs- und Karrieretipps angeguckt, jetzt wird es Zeit für größere Herausforderungen. Ich zeige Dir nun geballt Lebensweisheiten vor Sonnenuntergängen (wir erinnern uns….) und sämtliche Werbeanzeigen für Selbstfindungskurse.
Vielen Dank auch, da kann man sich ja gar nicht entscheiden.

Ich bin übrigens schon sehr lange eine Freundin von “Selbstfindung”.

Eigentlich jedes Mal, wenn einer meiner Mitbewohner wissen will, wo der Malkasten, die Sporthose, das eine T-Shirt, das Massband (frag nicht, ich frage auch nicht), der grüne Rucksack, die Uhr, das Ladekabel, Klopapier, der unterschriebene Zettel für die Schule, die Zeitschrift mit dem Artikel über Pandabären oder die Tafel Ritter Sport sind, rege ich aktiv dazu an, die Sachen doch bitte SELBST zu finden.
Es wäre unfair, ihnen einfach zu sagen, dass die Sachen im Schrank, auf dem Schreibtisch, auf dem viel zu voll geladenen Stuhl neben dem Bett, in der Waschmaschine, da wo sie immer liegen oder direkt vor ihren Augen sind. Ich würde ihnen so im Grunde die wertvolle Erfahrung der Selbstfindung vorenthalten. Und das Erfolgserlebnis, wenn sie es endlich selbst gefunden haben.
Außer bei der Tafel Ritter Sport. Das wäre anders unfair, denn da können sich die Suchenden noch so bemühen, die werden sie nicht mehr finden. Da war ich einfach deutlich schneller.

Das Problem beim Suchen und Finden ist vielleicht, dass man so intensiv mit dem Suchen beschäftigt ist…. , dass man darüber ganz vergisst zu finden. Zumindest bei den oben genannten Suchaktionen habe ich doch oft den Eindruck, dass die Sucherei geradezu blind macht….

Nun wollen mir die genannten Kurse aber nicht vermitteln, wie ich super “selbst finden” kann, nein!

Sie wollen, dass ich mein “Selbst” finde, allerdings möglichst nicht selbst,  sondern unter höchst professioneller Anleitung von Menschen, die sich ihrerseits auch irgendwie gefunden haben…. und noch dazu die Blaupause eines lukrativen Business.
Bemerkenswert finde ich hierbei, dass man sich offensichtlich im Vorfeld aussuchen kann, welches “Selbst” man denn nun finden möchte. Die Kursauswahl bestimmt, was du finden sollst:
Finde deine Weiblichkeit, finde deine Männlichkeit, finde das innere Kind, finde die Schamanin in dir, finde die geile Sau, finde die Göttin, finde den Heiler, finde den Krieger, finde dein Wohlfühlgewicht (ach nee, das war ein anderes Themenspektrum), finde die Amazone, den Löwen, den Adler, sowieso sämtliche denkbare Analogien aus dem Tierreich, finde verdammt nochmal diesen Kurs und melde Dich an!!!

Was ist, wenn ich mich nun dazu entschließe, die Amazone in mir zu finden……

…melde mich zum entsprechenden Seminar an, und die ist gar nicht da?
Das wäre ja wie die Suche nach der einen Tafel Ritter Sport, die kein Mensch mehr findet, weil ich sie mir bereits einverleibt habe und nur noch die Verpackung irgendwo im gelben Sack vor sich hin dümpelt.

Allerdings würde ich als Seminarleiterin alle wie verrückt dazu antreiben, diese Tafel Schokolade zu finden.
Und so ermunternde Sachen sagen wie
“Du kannst sie nur finden,  wenn du es auch wirklich willst!”
“Beweise, dass du sie auch wirklich finden willst!”
“Nicht jeder ist in der Lage, sie zu finden.”
“Wenn du sie nicht findest, ist es nur ein Zeichen dafür, dass du noch nicht reif für sie bist!”
Immerhin wäre ich aus eigener Erfahrung total davon überzeugt, dass es sich lohnt, diese Tafel Schokolade zu finden.
Ja, es wäre ein bisschen wie während der Inquisition, und viel hilft viel….
Und dann würde ich die Teilnehmer mindestens zwei Stunden bei Stimmungslicht und Aromaöl in einen Raum sperren und sie mit beat-unterlegten Walgesängen volldröhnen. Oder Ballermannschlager,  kommt drauf an. Denke ich. Im Minutentakt würde eine Stimme aus dem Off sagen “Ich finde die Schokolade!”, also…. die Amazone.
Am Ende würde ich sie mit der Vorstellung einer Tafel Schokolade abspeisen. Quasi dem Bild dessen, was sie mal gesucht haben.
“Du  hast deine ureigene persönliche Tafel Schokolade gefunden. Herzlichen Glückwunsch,  werde glücklich damit. Die 2000,- € Seminargebühr für diesen Tag sind übrigens spätestens morgen fällig.”

Und dann nehme ich als Teilnehmerin dieses Bild einer Amazone mit in meinen Alltag und probiere so zu sein, wie es das Bild vorgibt. Hab ich ja schließlich gefunden. Selbst. Wird schon alles richtig sein, war ja auch richtig teuer. Außerdem bin ich total stolz darauf, dass ich die zwei Stunden Walgesangfolter überlebt habe. Und die Seminarleiterin hat uns an- und ausdauernd glaubwürdig vermittelt, dass wir ab sofort viel besonderer als alle anderen seien.
Nie im Leben würde ich dann sagen,  dass ich nen arschvoll Kohle in ein Seminar gesteckt habe, und am Ende daran zweifle, ob das auch das richtige war.
Völlig schnurz, ob ich nun mein Selbst gefunden habe oder das, auf das sich meine Seminarleiterin eingeschossen hat.
Zweidrei meiner Mitstreiterinnen nehme ich wahrscheinlich ab, dass sie das gefunden haben, wonach sie auf der Suche waren. Ich habe den Verdacht, dass sie das auch ohne fremde Hilfe gefunden hätten.

Ganz vielleicht genügt es ja auch zu schauen, was man so findet, die Dancing Queen anstelle der Amazone zum Beispiel….statt immer nur wie wild nach etwas zu suchen, was vielleicht gar nicht da ist.