Bei uns im Dorf hat der Schützenverein ein neues Design seiner Schützenflaggen beschlossen. Flaggen, die man einmal im Jahr aushängt, um das Dorf zum Schützenfest zu schmücken.

Das Aufhängen der Fahne am Tag vor dem eigentlichen Festbeginn bietet eine prima Gelegenheit, dieses beliebte Fest um einen Tag zu erweitern.

Der Akt des Fahnehissens darf gefeiert werden. Und wer feiert, darf auch trinken. Das könnte man hinterfragen, macht aber keiner. So ein Mikrokosmos hat seine eigenen Regeln.

Außerdem signalisieren die Flaggen ortsfremden Autofahrern, dass sie im Grunde zu jeder beliebigen Uhrzeit mit betrunkenen Fußgängern rechnen müssen. Ortsfremden Einbrechern signalisieren sie, dass man in das Haus, vor dem die Fahne weht, an dem Wochenende prima einbrechen kann. Entweder sind die Bewohner in der Schützenhalle oder schlafen sich gerade für den nächsten Feierabschnitt wieder fit.

Schützenfest bedeutet Ausnahmezustand. Insofern kann man den entsprechenden Flaggen einen gewissen Symbolcharakter nicht absprechen.

Wenn es nun so wäre, dass ein Schützenverein als Zeichen für Love, Peace and Rock’n’Roll schon immer eine lindgrünpinktaupegestreifte Fahne benutzt hätte, wäre das gesamte Dorf also zu jedem Schützenfest in lindgrünpinktaupegestreift geschmückt gewesen. Nun wäre aber in den vergangenen Jahren die Flagge immer mehr in Verruf geraten, weil sie neuerdings vermehrt von Gruppierungen verwendet wird, deren Ideologie man als Verein zutiefst verabscheut, und von denen man sich distanzieren möchte. Weil die Gruppierungen zu Gewalt und Diskriminierung neigen zum Beispiel.
In der allgemeinen Wahrnehmung würden diese Flaggen und ihre Farben immer mehr mit einer Ideologie in Verbindung gebracht, die nicht den allgemeinen Werten von Toleranz, Respekt und Freiheit entsprechen. Und das, obwohl diese Flagge ursprünglich nichts mit einer derartigen Gesinnung zu tun hatte.

Der Schützenverein würde in einer Versammlung beschließen “Nee…. das mit der Fahne…. das wollen wir so nicht mehr. Wir sind auch schon von mehreren Personen darauf angesprochen worden, ob wir denn mit dieser Flagge diesen Ideologien nahe stehen würden. Nein, natürlich nicht, denn wir fanden damals Love, Peace und Rock’n’Roll gut. Da hatte die Flagge noch nichts mit dem zu tun, womit sie heutzutage in Verbindung gebracht wird.
Auf unseren neuen Flaggen werden jetzt keine Streifen in lindgrünpinktaupe mehr sein. Wir machen jetzt Quadrate in diesen Farben. Wer will, hängt weiterhin seine alte Flagge hin, und die lustigen lindgrünpinktaupen Krawatten benutzen wir auch weiter.”

Dann gäbe es einen Artikel darüber in der lokalen Presse.

Und bei Facebook.

Zum Glück gäbe es ausschließlich sehr differenzierte Kommentare dazu.
Kein Mensch würde aus der Flaggendesign-Entscheidung heraus die leicht provokante Frage stellen, ob man denn nun in seinem Garten überhaupt noch das Tulpenbeet in lindgrünpinktaupe anlegen dürfe.
Kommentare wie “Als hätte man keine anderen Probleme!” sollen zum Ausdruck bringen, dass es doch völlig Wurst sei, wie diese Flagge nun in Zukunft aussehe.
Der Hinweis auf die ursprüngliche Bedeutung der Flagge möchte lediglich verdeutlichen, dass es im Rahmen des Möglichen liegt, dass sich Zeiten ändern.

Und niemand würde irgendwann Schnitzel mit Soße und Schokoschaumküsse als weiteres deutliches Zeichen für den Untergang dieses Landes anführen.
Die Menschen würden sich sagen “Mein Herzblut hängt nicht am Design dieser Fahne. Außerdem finde ich es auch kacke, dass unser schönes Fest mit gewalttätigen Idioten in Verbindung gebracht wird, nur weil wir zufällig die gleichen Flaggen benutzen. Warum sollte ich auf einnmal so tun als hätte ich die Schützenfahne jahrelang mit vollem historischen Bewusstsein vor meinem Haus gehisst?”

Man wollte doch nur das Dorf schmücken und einen weiteren Tag zum feiern haben.