Das große Kind in unserem Haushalt hat das Fahrradfahren für sich entdeckt.

Weniger das Fahren an sich von A nach B. Viel mehr wird das Fahrrad für Tricks und Sprünge mit Namen, die ich mir gar nicht alle merken kann, benutzt… und bei denen ich auch gar nicht immer hinschauen möchte. Leider ist meine Vorstellungskraft so groß, dass ich mir sehr gut ausmalen kann, welche Folgen es hat, wenn so ein Trick mal nicht so verläuft wie in dem coolen Youtube Tutorial. Aber das verrate ich dem Fahrradfreak nicht.

Stattdessen rege ich mich gerne künstlich darüber auf, dass dieses Fahrrad ja noch nichtmal über einen Gepäckträger verfüge, um auch mal …. Gepäck zu transportieren oder so ein paar schicke Fahrradtaschen anzubringen und biete ihm großzügig mein tolles Fahrradkörbchen für den Lenker an. Will er aber nicht haben.

Ich selber brauche es realistisch betrachtet aber auch nicht. Was vorallem daran liegt, dass ich das gesamte Fahrrad ganz ohne schlechtes Gewissen nicht benutze.
Da ich meiner Gesundheit zuliebe freiwillig auf Tricks und Sprünge verzichte, müsste ich das Fahrrad benutzen, um von A nach B zu kommen. Ich könnte sogar Einkäufe transportieren, denn mein Fahrrad hat sowohl einen Gepäckträger als auch eine schicke Fahrradtasche UND besagtes Körbchen am Lenker. Tiptop praktisches Fahrzeug also, und tatsächlich habe ich mich einige Male auf den Sattel geschwungen, um mal eben im Dörfchen ein paar Besorgungen zu machen. Ok…. wenige Male…. Fünf mal, höchstens zehn, seitdem ich es vor zwei Jahren günstig gebraucht übernehmen konnte. Und einmal,  um mit der Familie ins Nachbardorf zu fahren, um Pizza zu essen. Motivation ist eben doch alles.

Wenn ich genau drüber nachdenke, hat dieses Nutzungsverhalten ausschließlich positive Aspekte.

Es wird ohne eine einzige Reparatur bis ans Ende meines theoretischen Radfahrerdaseins halten. Das macht es natürlich irre nachhaltig und somit nochmal extra umweltfreundlich. Und mit jeder Nichtbenutzung kann ich mir auch nicht beim ungeschickten Manövrieren die Knochen knacksen. Das ist gut für das Gesundheitssystem. Toll!

Es ist gar nicht so, dass ich das Radfahren grundsätzlich ablehne.

Ganz im Gegenteil. Ich habe bereits ein jahrelanges Radfahrleben hinter mir. Auch ganz ohne Tricks, immer nur “A nach B”. Das wertvolle Stück Mobilität in einer Stadt, in der Autos schon immer wie Fremdkörper wirkten in einer Zeit, in der ich allerdings auch weit entfernt davon war, überhaupt ein Auto besitzen zu können. Und…. in einer Stadt, in der die einzigen Steigungen die alten Brücken über eine Gracht sind.
Ein ausrangiertes Fahrrad vom sauerländer Sperrmüll, am besten ohne Gangschaltung war das Gefährt der Wahl. Dafür mussten aber immer mindestens zwei, besser drei dicke Schlösser mitfahren und bei jedem noch so kurzen Abstellen pfiffig angelegt werden. Rahmenschloß? Vergiss es! Genausogut hätte man auch sein Fahrrad mit Blumendraht sichern können. In der Regel fuhr man einen größeren materiellen Wert an Schlössern als an Fahrrad mit sich herum.

Zäune, Laternenpfähle und Brückengeländer schienen ausschließlich den Zweck zu haben, möglichst vielen Fahrrädern ein sicheres Zuhause bieten zu können.

Jedes einzelne Fahrrad konnte in der großen Masse untergehen und war so ein Stück sicherer davor, dem großen Kreislauf des….  inoffiziellen stadtinternen Fahrradgroßhandels zugeführt zu werden.

Ich hatte Glück. Jahrelang fand ich mein Fahrrad immer an der Stelle zurück , wo ich es abgestellt und angekettet hatte. Und das, obwohl es für Amsterdammer Verhältnisse schon  ziemlich fancy war. Es hatte immerhin Rücktritt UND Vorderradhandbremse, beide auch noch grob funktionstüchtig. Und eine Klingel… und einen Gepäckträger…. , und der diente in Amsterdam genauso dem Transport von Menschen wie von Gepäck.

Rückblickend betrachtet ist es bemerkenswert, dass ich meine Mitfahrer und mich nicht halb krankenhausreif gefahren habe. Denn als unerfahrene Mitmenschen-nach draufhüpfen-auf-dem-Fahrrad-Transporteurin brauchte ich immer einige Meter, um vom Schlangenlinienmodus wieder auf geradeausfahren zu schalten. Ob an der Stelle Mitmenschen zu Schaden gekommen waren, weil sie sich in ihrem Ausweichmanöver vor das nächste nahende Fahrrad geschmissen hatten, weiß ich grad zum Glück nicht.

Eines Tages und völlig unvermittelt wurde ich aber Teil des großen Fahrradkreislaufes.

Dass es soweit ist, merkt man in der Regel daran, dass an der Stelle, wo man sein Fahrrad abgestellt und angekettet hatte nur noch die Reste der Schlösser am Brückengeländer baumeln. Und auch, wenn man es nicht wahrhaben will, wird es nicht ein paar Meter weiter herumstehen und auf Dich warten “Guck mal,  ich hab mich schonmal freigemacht, damit du sofort mit mir losdüsen kannst!”. Das hindert dich aber nicht daran, in deiner Verzweiflung doch Ausschau zu halten.

Ein Junkie würde darauf herumfahren, aber nicht von A nach B, sondern irgendwo rund um den Grimburgwal in der Nähe der Universität von Amsterdam. Dabei würde er aber keine Tricks machen, sondern “Fiets te koop” zischen, sobald er an dir vorbei rollt. Und du würdest zwanzig Gulden zücken und kurze Zeit später mit einem neuen gebrauchten Fahrrad losfahren, um für weitere dreißig Gulden neue Fahrradschlösser zu kaufen. Alles in allem wäre das natürlich kriminell gewesen, aber da sich derartige Geschichten gegen Ende des letzten Jahrtausends zugetragen hätten, wäre diese Tat mittlerweile sicherlich verjährt.

Wäre sie doch, oder? ODER???!