Es sind ja manchmal einfach nur die Begriffe, die zu einer Sache gehören, die uns irgendwie schräg an diese Sache herangehen lassen. „Test“ ist doch schon Mist! „Test“ war das, was damals in der Schule unangekündigt geschrieben wurde, und wo sich dann offenbarte, dass man doch nicht seine Vokabeln gelernt hatte.
…und dann hatte man einen Termin zum Sehtest…..

„So und jetzt bitte einmal nur geradeaus schauen, ganz entspannt.“ ist der direkte Befehl für das Auge, wild hin und her zu springen und spontan mehr Tränenflüssigkeit zu bilden, um dann bei „Und jetzt bitte einmal nicht blinzeln!“ wild auf und zu zu schlagen. Wahrscheinlich machen die Optiker die benötigten Aufnahmen heimlich schon vor dieser Ansage oder direkt danach, wenn man glaubt, die Prozedur sei eigentlich schon vorbei.

Ich trage seit meiner frühesten Kindheit eine Brille, das gleiche Modell was alle anderen trugen, vermutlich gab es nur dieses oder es war das kleinste Übel von den drei bis fünf Modellen, die es in Wirklichkeit doch gab. Gepimpt wurde der Look nur durch das schicke pflasterfarbene Augenpflaster, das irgendwie ständig auf dem einen oder anderen Auge klebte. Es klebte übrigens sehr fest. Sehr sehr fest! Ich kann mir gut vorstellen, dass aus dem gleichen Material auch Montageband hergestellt wurde. Falls nicht, sollte man in Erwägung ziehen, die Klebeformel nochmal neu aufzulegen. Und dann zur Höhle der Löwen damit. „Klebt auch die Tragfläche eines Jumbojets wieder fest bis zur nächsten Landung.“

Beim abziehen der Augenklappe wurde ich regelmäßig quasi enthäutet. Zum Glück befanden sich die Augenbrauen nicht in der Klebefläche, sondern unter der Wundauflage, sonst wäre ich schon im Kindergartenalter mit epilierten Augenbrauen herumgelaufen. Wobei das bei dem schicken Brillenmodell den Kohl wahrscheinlich auch nicht mehr fett gemacht hätte. Trotzdem bin ich meinen Eltern sehr dankbar, dass sie da beim Kleben drauf geachtet haben.
“Pflasterfarben” war damals in den frühen 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts übrigens sowas wie hautfarben, aber ich habe nie einen Hautton gesehen, der diese braunpinke Farbe tatsächlich hatte. Vielleicht bin ich darum heute auch bei jedem Augenpflaster, das ich in einem Kindergesicht kleben sehe so hin und her gerissen zwischen echter Begeisterung über das wirklich schicke bunte Design des Pflasters und einem tiefen Mitgefühl. Sämtliche Kinder haben mir aber glaubhaft versichert, dass es gar nicht weh tue, das Pflaster abzuziehen. Kein Jumbotragflächenklebematerial mehr, Halleluja!

Das Pflaster sollte bewirken, dass ich auf lange Sicht (was für ein überaus gelungener Wortwitz im Zusammenhang mit Augen – haha) aufhöre zu schielen, denn wenn ich mal beide Augen zur Verfügung hatte, sah es so aus als könnte ich problemlos vor dem überqueren der Straße gleichzeitig nach rechts und links schauen, ohne auch nur ein bisschen den Kopf drehen zu müssen. Leider sah es nur so aus, in Wirklichkeit bin ich tatsächlich mal beim Überqueren der Straße von einem quietschorangefarbenen Bulli angefahren worden. Quietschorange! Bulli! Hätte man sehen können…

Schade eigentlich, das mit den Augen. Ansonsten hätte man mir diese Fähigkeit sicherlich als Superkraft erhalten und mich direkt beim nächsten Spionagedienst in die Vorschulgruppe geschickt. Ha! Ich wäre jetzt Superagentin! Stattdessen musste ich mich als Kind bei meiner Augenärztin immer wieder in einem Sehtest beweisen. „Wohin zeigen denn die Beine von dem Tisch?“ In Ermangelung von rechts-links-Kenntnissen durfte ich der Einfachheit halber in die entsprechende Richtung zeigen, und manchmal habe ich heimlich geraten! Übrigens war es in Wirklichkeit auch kein Tisch, sondern ein “E”, aber das hab ich ihr auch nicht verraten.

Die Augenpflastertherapie war laut der Augenärztin sehr erfolgreich. Das setzte ein, nachdem meine Eltern eigenmächtig zwischen zwei Kontrollterminen die Kleberei einfach mal ausgesetzt hatten, weil sie es irgendwann wahrscheinlich furchtbar eklig fanden, jedes Mal die Hautfetzten ihres Kindes in der Klebefläche des Augenpflasters vorzufinden. Ab da brauchte ich nie wieder ein Augenpflaster tragen.

Heute ist jeder Besuch beim Optiker meines Vertrauens ein kleiner Ausflug in die Vergangenheit. „Ist das besser …. oder das? Das… oder das?“ Und während ich früher aus purer Verzweiflung, weil ich absolut keinen Unterschied gesehen habe, einfach „Das!“ gesagt hatte, schaue ich heute ganz entspannt geradeaus in die Ferne, höre auf zu blinzeln und sage „Ich sehe keinen Unterschied.“